Die Ausgrabungen
Die jüngsten Untersuchungen vor Ort deckten entscheidende
Details auf, die die Wirtschaftsareale Cucagnas erfassten und die Bedeutung der
Burg als Wirtschaftszentrum erkennen lassen. Hier liegt die Zukunft des
Projektes, das sich auf das unmittelbare Umfeld von Cucagna konzentrieren wird.
Die Erkenntnisse bleiben dabei nicht objektbezogen - sie beleuchten
verschiedene Ebenen kultureller Entwicklung und Wandlung. Zudem zeigt sich eine
Mobilität der Burginhaber in der Region, die dem traditionell statischen
Burg-Herrschaft-Bild widerspricht und die Rolle der Burg als Wirtschaftsfaktor
andeutet. Siedlungsarchäologische Untersuchungen, die unser Grabungsprojekt
allein nicht liefern kann, wären zum Vergleich angebracht. Immerhin hat es der
regionalen Forschung in den letzten Jahren deutliche Impulse gegeben, was die
regionale Intensivierung der Grabungsaktivitäten zeigt. Das Verständnis
historisch-soziologischer Zusammenhänge sowie ökonomischer und gesellschaftlicher
Entwicklungen erhält mit den Befunden und Funden von Cucagna aber bereits neue
archäologische Impulse.
Ausschlaggebend ist
die Umsetzung komplexer
Mittelalterarchäologie, frei von einseitigen Interessen traditioneller
Burgenforschung. Sie ermöglicht einen generellen, entromantisierten Zugang zum
Phänomen der Burgen und ihrem von rechtlich-wirtschaftlichen Gründen und
unbedingte Funktionsbindung geprägten Charakter.
Hier die gesamten Arbeiten der letzten Jahre vorzustellen,
ist nicht möglich. Der Umfang der Arbeiten der letzten Kampagne im Sommer 2008,
die sich auf 132,20 m2 erstreckten, soll für einen Eindruck reichen:
Im Kernbereich der Burg konnten die Arbeiten mit der
vollständigen Freilegung des Innenraums von Palazzo II abgeschlossen werden. Ergänzend
und in Vorbereitung der zukünftigen Untersuchungsschwerpunkte wurden im
Außenbereich mehrere Sondagen angelegt, die überwiegend stratigraphische
Aufschlüsse bis auf den anstehenden Fels ermöglichten. Vier
Untersuchungsflächen lagen nordwestlich der Burg. Der nur 4,60 m2
großen Schnitt I auf der Anhöhe zwischen den Abschnittsgräben sowie Schnitt II,
das östliche Tor im Graben (beide 28,825 m2) und der 8,30 m lange
Schnitt IV (7,65 m2), der einen Querschnitt durch den ersten Graben,
dessen Sohltiefe und die Oberflächenbefestigungen erschloss.
Im Südwesten sollten Schnitt V (5,95 m2) und VI (18,50 m2) eine als Hangterrassierung angesprochene Mauer näher
untersuchen. Bei den Vorbereitungen zeigte sich, dass hier ein größeres Gebäude
stand. Die Sondagen erschlossen den hangabwärtigen Teil von innen und außen und
konnten auf eine der Gebäudeecken ausgeweitete werden. Die Maueroberkanten des
gesamten Baus konnten über längliche Schürfe auf 29,12 m2 erschlossen werden.
Die
Grabungsflächen und erste Untersuchungen an Palazzo IV.
Wie ergänzten die jüngsten Untersuchungen das Bild der Anlage?
Schnitt I sollte die von zwei Gräben aufgeworfenen
Fragen zur Notwendigkeit einer so umfangreichen Befestigung, ihrer
Nutzungsabfolge und der Funktion der Anhöhe zwischen den Gräben klären. Die
Arbeitshypothese war, dass zuerst der nördlichere Graben angelegt wurde. Auf der Anhöhe hätte etwa
eine hölzerne Motte die Errichtung der späteren Burg von der Nordwestseite
absichern können. Der zweite Graben wäre später Bestandteil eines gestaffelten
Verteidigungssystems geworden.
Bislang konnten hier weder Befunde eines einfachen Bauwerks
noch in die Gründungszeit der Burg datierendes Material erschlossen werden.
Allerdings ist eine Lehmplanierung auf dem Fels vorhanden, die aussagefähige
Funde barg: Keramikscherben inkl. Majolikafragmenten des 14. Jh., ein
Armbrustbolzen mit Dorn, Kupferblech und Glas. Ziegelbruch deutet darauf hin,
dass am Standort ein Gebäude stand, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen
ist.
Dass der primär der Verteidigung und parallel
als Steinbruch zum Bau der Burg dienende Graben begehbar geplant war, zeigte sich an seinem östlichen
Abschluss mit einer Mauer, die von einer massiven Pforte durchbrochen wird.
Vermutlich steht sie im Zusammenhang mit der Wegeführung zur Wasserversorgung
der Burg. Am noch ca. 1,95 m hoch erhaltenen Baubefund sind mindestens vier
Bauphasen festzumachen, bis das Tor mit einer Trockenmauer zugesetzt wurde. Die
Mauer, deren weiterer Verlauf noch zu klären ist, wurde ebenfalls wenigstens
einmal durch eine zweite, vorgeblendet Steinlage verstärkt.
Es zeigte sich, dass der Grabeninnenraum in weiten Bereichen
aufplaniert und gepflastert, sowie im Zentrum abgearbeitet wurde, um auf einer
planen Fläche einen umfangreichen Wirtschaftstrakt anlegen zu können. Er ist
das Indiz zur Ansprache der Abfolge beider Grabenwerke: mit der vollständigen
Belegung der Plateauflächen auf dem Bergkamm mit Wehr- und Wohnbauten mussten
neue Wirtschaftsflächen erschlossen werden. Der Burggraben bot den nötigen
Platz, wurde in seiner Funktion aufgegeben und durch einen Graben ersetzt.
Vom spätmittelalterlichen
Wirtschaftsareal ist bislang ein regelrechter Küchentrakt mit einem von einer Ziegelkuppel überdeckten Backofen
und einem offenen Herd freigelegt. Westlich
können weitere Werkstattgebäude
gelegen haben, was zu untersuchen bleibt. Der mit verschiedenen
Funktionsdetails erhaltene Herd bestand aus einem ebenerdigen Ziegelpflaster,
das ein Steinbord einfasste. Von der Raumnutzung legt die stark aschehaltige
Kulturschicht beredtes Zeugnis ab, die zwischenzeitlich mit kleinen
Steinplättchen gefestigt wurde. Unter den verschiedenen Kleinfunden, bis hin zu
einem Bleiamulett mit Mariendarstellung, fallen die eisernen Backschaufeln auf,
die rechts und links des Herdes ordentlich abgelegt zurück gelassen worden. Die
an sich wertvollen Objekte deuten einen Nutzungsabbruch unter katastrophalen
Umständen an.
Nach den 2005 östlich unterhalb der Burg freigelegten
Fundamenten eines turmartigen Gebäudes überraschten 2008 die mit den Schnitten
V und VI erschlossenen Befunde am südwestlichen Berghang. Erstmals war es
möglich, die komplexen Terrassierungen,
Wirtschaftsräume und Befestigungen um die Burg näher zu untersuchen, deren
Umfang bislang nur abzuschätzen war. Der bereits erwähnte, turmartige Baukörper zeigte (während der Grabung wegen seiner Ausmaße „Palazzo IV“ getauft), dass die wechselvolle
Geschichte Cucagnas von Bauten mit unterschiedlichen
Ausbauzuständen und geschlossener
Baugeschichte begleitet wird, die vor der endgültigen Aufgabe der Burg
abgebrochen wurden. In diesem Fall Ende des 14. Jh., wobei bislang nur die
jüngere Bauphase Untersuchungsgegenstand war. Die Zerstörung ist über zwei
vergesellschaftete Münzen zu fassen, die für sich allein nur schlechte
Anhaltspunkte geben würden: einen Denar Ludwigs I. von Ungarn (1342-1383) und
einen seltenen „Piccolo“ seines unmittelbaren Gegenspielers, Patriarch Philipp
von Alençon (1381-1387,
† 1397; ehem. Patriarch von Jerusalem). Daneben haben sich
weitere, herausragende Funde erhalten (s.u.).
Der Vergleich mit den historischen Schriftquellen eröffnet
für Cucagna und Palazzo IV neue Perspektiven. Bislang wurde eine Genehmigung
zum Bau einer Befestigung/eines weiteren Turmes am Berghang von Cucagna von
1160 hypothetisch auf sichtbaren und bereits ergrabenen Bestand bezogen
(Palazzo II A & B), was im Gegensatz zur ungewöhnlichen topographischen
Beschreibung stand. Das neu entdeckte Gebäude entspricht ihr eher und sein
älterer Teil sollte 1186 mit der erneuten Nennung der Besitzer fertig gestellt
gewesen sein.
Nicht nur, dass letztlich Cucagna und Zucco eine Doppelburg
bildeten, auf dem oberen Bergkamms standen sich direkt eine Burg mit einer
mächtigen Vorburg gegenüber. Sowohl separat zu verteidigen, als auch als
Gesamtanlage von Mauern und Terrassierungen eingefasst.
Die knappe Umschreibung der zuletzt erschlossenen Befunde
zeigt, dass die komplexe Entwicklung der hochmittelalterlichen Burg allein am
erhaltenen, restaurierten Baubestand nicht abzulesen ist. Ähnlich sieht es bei
vergleichbaren Anlagen aus, nur dass entsprechende Untersuchungen kaum
vorliegen.
Beschreibung
der Anlage nach den bisherigen Grabungsergebnissen