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Seit dem frühen Christentum suchen Gläubige die Wirkungsstätten oder das Grab von Christus, den Aposteln oder von Heiligen auf, um dort zu beten. Dadurch waren die Ziele wie das Heilige Land oder Rom vorgegeben. Auch wenn manche Quellen von großen Pilgerza
hlen sprechen, kann für die Zeit bis etwa zum Jahre 1000 noch nicht von einer Massenwallfahrt gesprochen werden. Die Blüte des Hochmittelalters äußert sich u.a. in einer gesteigerten Mobilität. Im Zusammmenhang mit der ab dem 9.Jh. aufgekommenen Wallfahrt
nach Santiago de Compostela - dem Grab des Heiligen Jacobus, entstanden ab dem 11.Jh. auch in Mitteleuropa Wallfahrtsorte. Wie schon in der Antike wurden auch jetzt von den Gläubigen Anndenken mitgenommen - in Santiago die bekannt Jacobsmuschel. Mit dem En
de des 12.Jh. tritt in dieser Beziehung wiederum etwas Neues hinzu, als kleine Zeichen aus einer Blei-Zinn-Legierung mit dem Bild des/der Heiligen den Pilgern verkauft wurden. Diese Zeichen hatten rechtskräftigen Charakter, d.h. ihr Besitz bestätigte bis
zur Mitte des 14.Jh. die erfolgreich durchgeführte Wallfahrt. Mit großer Wahrscheinlichkeit durften aber nur bestimmte Orte Pilgerzeichen verkaufen. Nach der Mitte des 14.Jh. gehen wiederum wesentlich mehr Orte zur Produktion dieser Objekte über - Orte, die
erst jetzt in den Rang eines Wallfahrtsortes aufsteigen. Die Andenken erhielten eine auf den religösen Inhalt beschränkte Bedeutung. Die Entwicklung, daß jede Stadt oder jede größere Gemeinde eine Wallfahrtsort in ihrer Nähe hat, ist eine Entwicklung der
Neuzeit.
Die Beschäftigung mit Pilgerzeichen scheint auf den ersten Blick sehr speziell.
Doch kann man, wie gesagt, ab dem Ende des 12.Jh. den Beginn einer Wallfahrt zu einem
bestimmten Ort anhand der Pilgerzeichen präzisieren und hat damit eine
Aussagemöglichkeit, welche anhand der schriftlichen Überlieferung oftmals
nicht zu erreichen ist. Über Wallfahrten und Pilger sagen unterschiedliche
Schriftquellen etwas aus. Es handelt sich um Mirakelsammlungen, Reiseführer,
Rechnungsbücher der Kirchen, Testamente etc. Ganz selten sind die Quellen, in denen
Pilgerzeichen selbst erwähnt werden. Das Recht, Pilgerzeichen herzustellen wurde
bis zur Mitte des 14.Jh. offenbar vom Papst vergeben, wie anhand von
diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten deutlich wird.
Die Beschäftigung
mit Pilgerzeichen erlaubt Aussagen über die Existenz damaliger Wallfahrtsorte,
und wie lange Wallfahrten dorthin durchgeführt wurden. Die Verbreitung der
Pilgerzeichen erlaubt Aussagen über die Herkunft der Pilger und die Bedeutung des
Ortes, also ob Pilger nur aus der Umgebung kamen oder auch von weiter entfernt
liegenden Gegenden.
Vor einigen Jahren wurde während der Ausgrabungen in
Konstanz-Münzgasse (Fischmarkt) ein Pilgerzeichen gefunden, dessen Herkunft
allerdings nicht bekannt war (Abb. 1). Dieser Fund soll Anlaß geben, die bekannten
Parallelen, ihre Herkunft und Datierung zu besprechen.
Der oben erwähnte
kann aufgrund der Stratigraphie und der weiteren Funde in das 14.Jh. datiert werden.
Eine genauere Angabe liegt nicht vor. Allerdings zeigte die Untersuchung der vor 1350
hergestellten Zeichen keine Hinweis auf die Herstellung dieser Art vor der Mitte des
14.Jh. Ich möchte daher den Fund eher in die zweite Hälfte des 14.Jh.
datieren.
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Abb.1 |
Das Zeichen stellt einen »Mann mit erhobenen Händen und
reichgefältetem, hoch geschlossenem und kragenbesetztem Gewand, über das
eine Schärpe gelegt ist...« dar. Die Schärpe ist ein Riemen für
die an der linken Seite des Heiligen befindlichen Pilgertasche. Der Kopf des Zeichens
ist abgebrochen, ebenso ein Fuß. Die beiden erhobenen Hände scheinen
Gegenstände gehalten zu haben, die jedoch ebenfalls fehlen. Bei der Zinnplakette in
der Form eines stehenden Mannes handelt es sich um ein Pilgerzeichen des nordfranzösischen
Wallfahrtsortes St.Josse-sur-Mer, bei dem Dargestellten um den hier
verehrten Heiligen St.Jodocus.
Jodocus soll als Sohn eines bretonischen
Königs im 7.Jh. gelebt haben. Als ihm die Krone angeboten wurde, entzog er sich
durch die Flucht und wurde Mönch. Er wurde insbesondere als Beschützer der
Pilger verehrt. Daher wurde er häufig als Pilger mit den ent sprechenden Attributen
dargestellt.
Die erste Erwähnung des Ortes St.Josse erfolgte im Jahre 792.
In diesem Jahr vergab König Karl an Alkuin die Einkünfte des Klosters,
»cella S jodoci« genannt, was allerdings, da die Handschrift aus dem
10./11.Jh. stammt, eine nachträgliche Angabe sein kann . Der Begiff
»peregrini« in dieser Quelle darf nur mit »Fremde« aufgelöst
werden, und nicht mit »Pilger«. Die eingeschränkte Bedeutung
läßt sich erst im 10./11.Jh. Nachweisen. Eine Verehrung des Heiligen wird
sicher hier stattgefunden haben, aber von einer Wallfahrt im späteren Sinne darf
nicht gesprochen werden.
Das Kloster gerät aber bald in eine wirtschaftliche
Krise, nicht zuletzt durch die Plünderung durch die Normannen im Jahre 844. Erst
mit dem Ende der normannischen Überfälle ist die Grundlage zur weiteren
Entwicklung günstig. Nicht zuletzt durch den Fund d er Gebeine des Heiligen Jodocus
im Jahre 977 beginnt für das Kloster eine Blütezeit, die sich durch den Neubau
der Kirche äußert. Mit Heinrich von Vinstingen, dem Erzbischof von Trier
ist im Jahre 1286 der erste namentlich erwähnte Pilger bekannt. Er hofft e hier von
Lähmungen geheilt zu werden. Erst mit den unten aufgeführten Bürgern
aus der Gegend von Konstanz sind die nächsten Pilger bekannt. Erst im Verlauf des
15.Jh. werden weitere Wallfahrer erwähnt. Jetzt scheint die eigentliche
Blüte der St.-Josse-Wa llfahrt gekommen zu sein. Schriftquellen berichten erst um
die Mitte des 15.Jh., als der spätere Karl der Kühne an diesem Ort
»images dudit Saint« kauft, von Pilgerzeichen. Besonders die Herzöge
von Burgund pflegten nicht zuletzt aus politischen Gründen da s Heiligtum. Das
16.Jh. stellt für das Kloster eine Krisenzeit dar - nicht zuletzt durch die
Reformation verursacht. Diese Krise war zu Beginn des 17.Jh. überwunden. Weiter
Nachrichten fehlen weitgehend - was weitgehend auf die völlige Zerstörung
des Klosters in der Französischen Revolution zurückzuführen ist.
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Abb.2 |
Doch wieder zurück zu den von hier bekannten Pilgerzeichen. Eine von dem
Konstanzer Zeichen etwas abweichende Form weist ein weiteres in Bremen gefundenes
Exemplar auf (Abb. 2). Es ist wesentlich feiner gearbeitet, was durch Guß in einer
Metallform beantwortet werden kann. Der stehende Heilige trägt ein
knöchellanges, zweistufiges Gewand, dessen Ausschnitt mit vier Knöpfen
verschlossen ist. Der Kopf ist mit einem Hut bedeckt, und von einem Heiligenschein
umgeben. Über dem Heiligeschein befindet sich eine für Pilgerz eichen typische
Öse. Die Pilgertasche hängt auf der linken Seite herab. In der linken Hand
hält er einen Rosenkranz und ein Buch (Brot?). Die rechte Hand hielt den nicht mehr
erhaltenen Pilgerstab. Die Füße sind abgebrochen. Die Herkunftsfrage wird von
Wittstock mit dem französischen Wallfahrtsort St.Josse-sur-Mer beantwortet.
Ein weiteres fragmentiertes Zeichen stammt möglicherweise aus Trier und
befindet sich in der Sammlung Kann. Es zeigt das Unterteil einer stehenden Figur mit
einem knöchellangen Gewand, das etwa auf Kniehöhe - wie das Exemplar aus
Konstanz - eine umlaufend e Bordüre trägt. Auf der linken Seite befindet
sich ein rechteckiger Gegenstand, der möglicherweise eine Tasche darstellt. Die auf
der Zeichnung als florales Element dargestellten Verzierung kann man wahrscheinlich
als Muschel ansehen. Das Zeichen ist noch 2,7cm hoch und 1,8cm breit.
Vier entsprechendes Pilgerzeichen wurde in Zeeland (2x), Reimerswaal und Dordrecht
gefunden. Die Exemplare sind weitgehend gut erhalten, nur bei den beiden Exemplaren
aus Nieuwland ist der Kopf abgebrochen. Alle weisen sie die gleichen Attribute -
muschelb esetzte Tasche, Pilgerstab, Hut, langes Gewand, Gebetskranz und Buch- auf.
Die beiden Exemplare mit Kopf haben keinen Heiligenschein. Vom Stil her lassen sie
sich gut mit den Zeichen von Konstanz und Trier vergleichen. Ösen neben der
Standleiste diente zur Befestigung auf der Kleidung. Bei drei Exemplaren ist die
Inschrift »S:IOSSE« auf der Standleiste, bzw. auf der rechten Seite gut zu
lesen. Neben der ikonographischen Ähnlichkeit erlaubt dies die Zusammenfassung zu
einer Gruppe, die in St.Josse hergestell t worden ist. Da es sich durchweg um
Lesefunde handelt, können sie nicht archäologisch datiert werden, doch
dürften sie vom Stil her in die zweite Hälfte des 14.Jh. gehören.
Eine Parallele zu dem von Wittstock publizierten Zeichen stammt von einer Glocke
aus Niederburg, Kr.Goar. Diese 1477 gegossene Glocke kommt aus der Werkstatt des
rheinischen Glockengießers Tilman von Hachenburg, der häufig Pilgerzeichen
als Schmuck seiner Glocken verwendet hat. Diese Glocke ist die einzige, die von ihm
mit diesem Zeichen verziert wurde, und sich erhalten hat. Die auf der Fußleiste
angebrachte Inschrift lautet: »(S) IOSSE«. Damit ist die Herkunft von dem
französischen Wallfahrtsort gesichert . Weitere Glocken hatten ebenfalls ein
Jodokus-Pilgerzeichen dieser Art: Prietzen, Kr.Westhavelland (durch Brand vernichtet),
und Neustadt, Kr.Karburg, 1434 gegossen.
Ein Stundenbuch von 1488 zeigt wieder
einen anderen Typ, nämlich einen ovalen Brakteaten. Dennoch ist das Bild des
stehenden Pilgers mit Hut, Stab, Tasche und Rosenkranz beibehalten. Die Umschrift
gibt völlige Klarheit über die Herkunft dieses Zeichens (St .Josse).
Die Datierung betreffend, kann man demnach festhalten, daß Pilgerzeichen von
St.Josse-sur-Mer bislang aus der zweiten Hälfte des 14.Jh. (Konstanz) bis ans
Ende des 15.Jh. (Glocke von Niederburg) nachzuweisen sind. Am Ende des 15.Jh. treten
neben die Zeiche n aus Zinn - oder diese ersetztend - Brakteaten mit der Darstellung des
Heiligen. Der Heiligenschein tritt offenbar erst mit der Mitte des 15.Jh. auf, der
Pilgerstab steht immer senkrecht neben dem Heiligen.
Interessanterweise sind zwei
Pilger aus der Konstanzer Diözese die im 14.Jh. nach St.Josse gepilgert sind,
namentlich bekannt. 1366 unternimmt Hartman von Brunau die Fahrt, und im Jahr darauf
Johannes von Herblingen. Das zeigt, das spätestens zu diesem Zei tpunkt die
Anziehungskraft des Klosters schon so groß war, daß sich Pilger auf die
Fahrt zu dem 1000 km entfernten Wallfahrtsort aufmachten. Damit deckt sich auch der
archäologische Befund mit den Schriftquellen. Vielleicht verbanden die beiden
auch wirtschaftliche Aktivitäten (Handel) mit dem Besuch des Kultortes.
Noch weitere Exemplare stellen den Heiligen Jodocus dar, unterscheiden sich aber
deutlich von den eben erwähnten. Diese Stücke bestehen bis auf eine Ausnahme
aus Lesefunden, die nicht genau datiert werden können. Drei Exemplare wurden zu
Beginn des Jahrhun derts bei Flußregulierungen in der Weser bei Bremen
gefunden.
Zwei dieser Zeichen sind nahezu identisch. Der Heilige ist hier als
» aufrechtstehende Figur mit langem Gewand, schräg vor dem Körper
stehenden Pilgerstab, Pilgertasche und Buch, auf dem Kopf die muschelgeschmückte
Pilgermütze, und dahinter der radial geri ffelte Heiligenschein«
dargestellt. Ein Exemplar ist komplett erhalten. Von den zur Befestigung auf dem
Gewand dienenden Ösen sind noch alle vorhanden. Der den Stab haltende Arm liegt vor
dem Körper. Am unteren Rand der Plakette ist eine Inschrift angebracht, die mit
»IO DOK« wiedergegeben ist. Die Höhe des Zeichens beträgt 4,5cm. Bei
dem zweiten Zeichen fehlt der Kopf, und die Inschrift («S'IOK«) weicht auch
geringfügig ab. Da die Figur trotz des fehlenden Kopfes noch 4,8cm mißt,
können sie nicht aus der gleichen Gußform stammen.
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Abb.3 |
Sehr gut mit ihnen
vergleichbar ist ein - inzwischen verlorengegangenes - Pilgerzeichen, daß in dem
Wallfahrtsort St.Joost im Lande Hadeln gefunden wurde (Abb. 3). Die Darstellung ist mit den
beiden anderen Stücken nahezu identisch. Auch dieses trägt eine Inschrift
(«DOCU«), und macht neben den ohnehin deutlichen ikonographischen Hinweisen
die Identität des Heiligen klar. Das Zeichen wurde in »Haus D« dieses
kleinen Ortes gefunden, und kann in die Zeit 15.Jh. - 1.Hälfte 16.Jh. datiert
werden. Die erste Pilgerfahrt zu dieser Kapelle ist im Jahre 1367 erwähnt. Diesem
Zeitpunkt muß aber keinesfalls die Produktion von Pilgerzeichen entsprechen. Die
Wallfahrtskirche ist vor 1558 abgebrannt, und wurde nicht wieder aufgebaut.
Da hier ein im Mittelalter beliebter Jodokus-Wallfahrtsort bestand, liegt es nahe, diese
drei Zeichen - die beiden Bremer und das hier gefundene - diesem Ort zuzuschreiben.
Argumente hierfür sind die Schrift »IODOK« statt »IOSSE«, die
andere Ikonographie und die eher kleinräumige Verbreitung, welche im völligen
Gegensatz zu der oben vorgestellten steht.
Weitere Pilgerzeichen und Brakteaten
mit dem Bild des Heiligen Jodocus sind bekannt, lassen sich aber keinem Wallfahrtsort
eindeutig zuordnen. Der Vollständigkeit seien sie aufgeführt.
Ein rechteckiger Brakteat aus Zeeland (vor 1532) und das Bild eines ovalen Brakteaten aus
dem Stundenbuch von Quarre (nach 1488) zeigt ein ähnliches Bild, wie das eben
erwähnte, und läßt sich entweder einer späten Ausprägung des
Wallfahrtsortes St.Josse zuweisen, oder überhaupt einem anderen Wallfahrtsort
des Heiligen Jodokus. Das gleiche gilt für das in London (Billingsgate) gefundene
Zeichen. Ein weiteres Pilgerzeichen, das sich im Salisbury Museum befindet und ins
dritte Viertel des 14.Jh. datiert wird, hat »formgleiche« Parallelen.
Vergleichbare Stücke sollen sich in der Sammlung der »Society of Antiquaries
of London« befinden. Weitere wurden in London, am »Baynard's Castle«
(spätes 14.Jh.) und bei Vintry an der Themse gefunden. Ein weiteres stammt aus
der Themse bei Queenhithe (14.Jh.).
Das Fragment eines Wallfahrtsbrakteaten des
frühen 16.Jh. vom Horsteberg in Münster stellt das Andenken an den Pilgerort
Jostberg bei Brackwede dar.
Man kann zusammenfassen, daß das Konstanzer
Zeichen zusammen mit den in Trier und in den Niederlanden gefundenen Zeichen eine
frühe Variante der Pilgerzeichen von St.Josse-sur-Mer darstellt, die in der zweiten
Hälfte des 14. und zu Anfang des 15.Jh. herges tellt wurden. Eine jüngere
Variante wird durch das Zeichen von Bremen und die Glockenabgüße von Neustadt
(1434), Niederburg (1477) und Prietzen repräsentiert. Zu Ende des 15.Jh. beginnt
hier offenbar die Produkttion von Brakteaten. Die Wallfahrtsandenken, die in der Weser
bei Bremen und in St.Joost gefunden wurden, stammen - wie schon Köster 1957 erkannt
hat - von dem niederdeutschen Wallfahrtsort, und sind im 15./1.Hälfte 16.Jh.
entstanden.
Als einziger weiterer St.-Jodocus-Wallfahrtsort mit Brakteaten ist
der Jostberg bei Brackwede zu identifizieren (frühes 16.Jh.). Weitere Pilgerzeichen
und Brakteaten sind bekannt, können aber keinem Wallfahrtsort zugewiesen
werden.
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