Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität Freiburg

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St. Jodokus in Konstanz
zu einem neugefundenen Pilgerzeichen

von Andreas Haasis-Berner

Seit dem frühen Christentum suchen Gläubige die Wirkungsstätten oder das Grab von Christus, den Aposteln oder von Heiligen auf, um dort zu beten. Dadurch waren die Ziele wie das Heilige Land oder Rom vorgegeben. Auch wenn manche Quellen von großen Pilgerza hlen sprechen, kann für die Zeit bis etwa zum Jahre 1000 noch nicht von einer Massenwallfahrt gesprochen werden. Die Blüte des Hochmittelalters äußert sich u.a. in einer gesteigerten Mobilität. Im Zusammmenhang mit der ab dem 9.Jh. aufgekommenen Wallfahrt nach Santiago de Compostela - dem Grab des Heiligen Jacobus, entstanden ab dem 11.Jh. auch in Mitteleuropa Wallfahrtsorte. Wie schon in der Antike wurden auch jetzt von den Gläubigen Anndenken mitgenommen - in Santiago die bekannt Jacobsmuschel. Mit dem En de des 12.Jh. tritt in dieser Beziehung wiederum etwas Neues hinzu, als kleine Zeichen aus einer Blei-Zinn-Legierung mit dem Bild des/der Heiligen den Pilgern verkauft wurden. Diese Zeichen hatten rechtskräftigen Charakter, d.h. ihr Besitz bestätigte bis zur Mitte des 14.Jh. die erfolgreich durchgeführte Wallfahrt. Mit großer Wahrscheinlichkeit durften aber nur bestimmte Orte Pilgerzeichen verkaufen. Nach der Mitte des 14.Jh. gehen wiederum wesentlich mehr Orte zur Produktion dieser Objekte über - Orte, die erst jetzt in den Rang eines Wallfahrtsortes aufsteigen. Die Andenken erhielten eine auf den religösen Inhalt beschränkte Bedeutung. Die Entwicklung, daß jede Stadt oder jede größere Gemeinde eine Wallfahrtsort in ihrer Nähe hat, ist eine Entwicklung der Neuzeit.

Die Beschäftigung mit Pilgerzeichen scheint auf den ersten Blick sehr speziell. Doch kann man, wie gesagt, ab dem Ende des 12.Jh. den Beginn einer Wallfahrt zu einem bestimmten Ort anhand der Pilgerzeichen präzisieren und hat damit eine Aussagemöglichkeit, welche anhand der schriftlichen Überlieferung oftmals nicht zu erreichen ist. Über Wallfahrten und Pilger sagen unterschiedliche Schriftquellen etwas aus. Es handelt sich um Mirakelsammlungen, Reiseführer, Rechnungsbücher der Kirchen, Testamente etc. Ganz selten sind die Quellen, in denen Pilgerzeichen selbst erwähnt werden. Das Recht, Pilgerzeichen herzustellen wurde bis zur Mitte des 14.Jh. offenbar vom Papst vergeben, wie anhand von diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten deutlich wird.

Die Beschäftigung mit Pilgerzeichen erlaubt Aussagen über die Existenz damaliger Wallfahrtsorte, und wie lange Wallfahrten dorthin durchgeführt wurden. Die Verbreitung der Pilgerzeichen erlaubt Aussagen über die Herkunft der Pilger und die Bedeutung des Ortes, also ob Pilger nur aus der Umgebung kamen oder auch von weiter entfernt liegenden Gegenden.

Vor einigen Jahren wurde während der Ausgrabungen in Konstanz-Münzgasse (Fischmarkt) ein Pilgerzeichen gefunden, dessen Herkunft allerdings nicht bekannt war (Abb. 1). Dieser Fund soll Anlaß geben, die bekannten Parallelen, ihre Herkunft und Datierung zu besprechen.

Der oben erwähnte kann aufgrund der Stratigraphie und der weiteren Funde in das 14.Jh. datiert werden. Eine genauere Angabe liegt nicht vor. Allerdings zeigte die Untersuchung der vor 1350 hergestellten Zeichen keine Hinweis auf die Herstellung dieser Art vor der Mitte des 14.Jh. Ich möchte daher den Fund eher in die zweite Hälfte des 14.Jh. datieren.

Jodokus ohne Kopf
Abb.1

Das Zeichen stellt einen »Mann mit erhobenen Händen und reichgefältetem, hoch geschlossenem und kragenbesetztem Gewand, über das eine Schärpe gelegt ist...« dar. Die Schärpe ist ein Riemen für die an der linken Seite des Heiligen befindlichen Pilgertasche. Der Kopf des Zeichens ist abgebrochen, ebenso ein Fuß. Die beiden erhobenen Hände scheinen Gegenstände gehalten zu haben, die jedoch ebenfalls fehlen. Bei der Zinnplakette in der Form eines stehenden Mannes handelt es sich um ein Pilgerzeichen des nordfranzösischen Wallfahrtsortes St.Josse-sur-Mer, bei dem Dargestellten um den hier verehrten Heiligen St.Jodocus.

Jodocus soll als Sohn eines bretonischen Königs im 7.Jh. gelebt haben. Als ihm die Krone angeboten wurde, entzog er sich durch die Flucht und wurde Mönch. Er wurde insbesondere als Beschützer der Pilger verehrt. Daher wurde er häufig als Pilger mit den ent sprechenden Attributen dargestellt.

Die erste Erwähnung des Ortes St.Josse erfolgte im Jahre 792. In diesem Jahr vergab König Karl an Alkuin die Einkünfte des Klosters, »cella S jodoci« genannt, was allerdings, da die Handschrift aus dem 10./11.Jh. stammt, eine nachträgliche Angabe sein kann . Der Begiff »peregrini« in dieser Quelle darf nur mit »Fremde« aufgelöst werden, und nicht mit »Pilger«. Die eingeschränkte Bedeutung läßt sich erst im 10./11.Jh. Nachweisen. Eine Verehrung des Heiligen wird sicher hier stattgefunden haben, aber von einer Wallfahrt im späteren Sinne darf nicht gesprochen werden.

Das Kloster gerät aber bald in eine wirtschaftliche Krise, nicht zuletzt durch die Plünderung durch die Normannen im Jahre 844. Erst mit dem Ende der normannischen Überfälle ist die Grundlage zur weiteren Entwicklung günstig. Nicht zuletzt durch den Fund d er Gebeine des Heiligen Jodocus im Jahre 977 beginnt für das Kloster eine Blütezeit, die sich durch den Neubau der Kirche äußert. Mit Heinrich von Vinstingen, dem Erzbischof von Trier ist im Jahre 1286 der erste namentlich erwähnte Pilger bekannt. Er hofft e hier von Lähmungen geheilt zu werden. Erst mit den unten aufgeführten Bürgern aus der Gegend von Konstanz sind die nächsten Pilger bekannt. Erst im Verlauf des 15.Jh. werden weitere Wallfahrer erwähnt. Jetzt scheint die eigentliche Blüte der St.-Josse-Wa llfahrt gekommen zu sein. Schriftquellen berichten erst um die Mitte des 15.Jh., als der spätere Karl der Kühne an diesem Ort »images dudit Saint« kauft, von Pilgerzeichen. Besonders die Herzöge von Burgund pflegten nicht zuletzt aus politischen Gründen da s Heiligtum. Das 16.Jh. stellt für das Kloster eine Krisenzeit dar - nicht zuletzt durch die Reformation verursacht. Diese Krise war zu Beginn des 17.Jh. überwunden. Weiter Nachrichten fehlen weitgehend - was weitgehend auf die völlige Zerstörung des Klosters in der Französischen Revolution zurückzuführen ist.

Pilgerzeichen aus Bremen
Abb.2

Doch wieder zurück zu den von hier bekannten Pilgerzeichen. Eine von dem Konstanzer Zeichen etwas abweichende Form weist ein weiteres in Bremen gefundenes Exemplar auf (Abb. 2). Es ist wesentlich feiner gearbeitet, was durch Guß in einer Metallform beantwortet werden kann. Der stehende Heilige trägt ein knöchellanges, zweistufiges Gewand, dessen Ausschnitt mit vier Knöpfen verschlossen ist. Der Kopf ist mit einem Hut bedeckt, und von einem Heiligenschein umgeben. Über dem Heiligeschein befindet sich eine für Pilgerz eichen typische Öse. Die Pilgertasche hängt auf der linken Seite herab. In der linken Hand hält er einen Rosenkranz und ein Buch (Brot?). Die rechte Hand hielt den nicht mehr erhaltenen Pilgerstab. Die Füße sind abgebrochen. Die Herkunftsfrage wird von Wittstock mit dem französischen Wallfahrtsort St.Josse-sur-Mer beantwortet.

Ein weiteres fragmentiertes Zeichen stammt möglicherweise aus Trier und befindet sich in der Sammlung Kann. Es zeigt das Unterteil einer stehenden Figur mit einem knöchellangen Gewand, das etwa auf Kniehöhe - wie das Exemplar aus Konstanz - eine umlaufend e Bordüre trägt. Auf der linken Seite befindet sich ein rechteckiger Gegenstand, der möglicherweise eine Tasche darstellt. Die auf der Zeichnung als florales Element dargestellten Verzierung kann man wahrscheinlich als Muschel ansehen. Das Zeichen ist noch 2,7cm hoch und 1,8cm breit.

Vier entsprechendes Pilgerzeichen wurde in Zeeland (2x), Reimerswaal und Dordrecht gefunden. Die Exemplare sind weitgehend gut erhalten, nur bei den beiden Exemplaren aus Nieuwland ist der Kopf abgebrochen. Alle weisen sie die gleichen Attribute - muschelb esetzte Tasche, Pilgerstab, Hut, langes Gewand, Gebetskranz und Buch- auf. Die beiden Exemplare mit Kopf haben keinen Heiligenschein. Vom Stil her lassen sie sich gut mit den Zeichen von Konstanz und Trier vergleichen. Ösen neben der Standleiste diente zur Befestigung auf der Kleidung. Bei drei Exemplaren ist die Inschrift »S:IOSSE« auf der Standleiste, bzw. auf der rechten Seite gut zu lesen. Neben der ikonographischen Ähnlichkeit erlaubt dies die Zusammenfassung zu einer Gruppe, die in St.Josse hergestell t worden ist. Da es sich durchweg um Lesefunde handelt, können sie nicht archäologisch datiert werden, doch dürften sie vom Stil her in die zweite Hälfte des 14.Jh. gehören.

Eine Parallele zu dem von Wittstock publizierten Zeichen stammt von einer Glocke aus Niederburg, Kr.Goar. Diese 1477 gegossene Glocke kommt aus der Werkstatt des rheinischen Glockengießers Tilman von Hachenburg, der häufig Pilgerzeichen als Schmuck seiner Glocken verwendet hat. Diese Glocke ist die einzige, die von ihm mit diesem Zeichen verziert wurde, und sich erhalten hat. Die auf der Fußleiste angebrachte Inschrift lautet: »(S) IOSSE«. Damit ist die Herkunft von dem französischen Wallfahrtsort gesichert . Weitere Glocken hatten ebenfalls ein Jodokus-Pilgerzeichen dieser Art: Prietzen, Kr.Westhavelland (durch Brand vernichtet), und Neustadt, Kr.Karburg, 1434 gegossen.

Ein Stundenbuch von 1488 zeigt wieder einen anderen Typ, nämlich einen ovalen Brakteaten. Dennoch ist das Bild des stehenden Pilgers mit Hut, Stab, Tasche und Rosenkranz beibehalten. Die Umschrift gibt völlige Klarheit über die Herkunft dieses Zeichens (St .Josse).

Die Datierung betreffend, kann man demnach festhalten, daß Pilgerzeichen von St.Josse-sur-Mer bislang aus der zweiten Hälfte des 14.Jh. (Konstanz) bis ans Ende des 15.Jh. (Glocke von Niederburg) nachzuweisen sind. Am Ende des 15.Jh. treten neben die Zeiche n aus Zinn - oder diese ersetztend - Brakteaten mit der Darstellung des Heiligen. Der Heiligenschein tritt offenbar erst mit der Mitte des 15.Jh. auf, der Pilgerstab steht immer senkrecht neben dem Heiligen.

Interessanterweise sind zwei Pilger aus der Konstanzer Diözese die im 14.Jh. nach St.Josse gepilgert sind, namentlich bekannt. 1366 unternimmt Hartman von Brunau die Fahrt, und im Jahr darauf Johannes von Herblingen. Das zeigt, das spätestens zu diesem Zei tpunkt die Anziehungskraft des Klosters schon so groß war, daß sich Pilger auf die Fahrt zu dem 1000 km entfernten Wallfahrtsort aufmachten. Damit deckt sich auch der archäologische Befund mit den Schriftquellen. Vielleicht verbanden die beiden auch wirtschaftliche Aktivitäten (Handel) mit dem Besuch des Kultortes.

Noch weitere Exemplare stellen den Heiligen Jodocus dar, unterscheiden sich aber deutlich von den eben erwähnten. Diese Stücke bestehen bis auf eine Ausnahme aus Lesefunden, die nicht genau datiert werden können. Drei Exemplare wurden zu Beginn des Jahrhun derts bei Flußregulierungen in der Weser bei Bremen gefunden.

Zwei dieser Zeichen sind nahezu identisch. Der Heilige ist hier als » aufrechtstehende Figur mit langem Gewand, schräg vor dem Körper stehenden Pilgerstab, Pilgertasche und Buch, auf dem Kopf die muschelgeschmückte Pilgermütze, und dahinter der radial geri ffelte Heiligenschein« dargestellt. Ein Exemplar ist komplett erhalten. Von den zur Befestigung auf dem Gewand dienenden Ösen sind noch alle vorhanden. Der den Stab haltende Arm liegt vor dem Körper. Am unteren Rand der Plakette ist eine Inschrift angebracht, die mit »IO DOK« wiedergegeben ist. Die Höhe des Zeichens beträgt 4,5cm. Bei dem zweiten Zeichen fehlt der Kopf, und die Inschrift («S'IOK«) weicht auch geringfügig ab. Da die Figur trotz des fehlenden Kopfes noch 4,8cm mißt, können sie nicht aus der gleichen Gußform stammen.

Pilgerzeichen aus St. Joost
Abb.3

Sehr gut mit ihnen vergleichbar ist ein - inzwischen verlorengegangenes - Pilgerzeichen, daß in dem Wallfahrtsort St.Joost im Lande Hadeln gefunden wurde (Abb. 3). Die Darstellung ist mit den beiden anderen Stücken nahezu identisch. Auch dieses trägt eine Inschrift («DOCU«), und macht neben den ohnehin deutlichen ikonographischen Hinweisen die Identität des Heiligen klar. Das Zeichen wurde in »Haus D« dieses kleinen Ortes gefunden, und kann in die Zeit 15.Jh. - 1.Hälfte 16.Jh. datiert werden. Die erste Pilgerfahrt zu dieser Kapelle ist im Jahre 1367 erwähnt. Diesem Zeitpunkt muß aber keinesfalls die Produktion von Pilgerzeichen entsprechen. Die Wallfahrtskirche ist vor 1558 abgebrannt, und wurde nicht wieder aufgebaut.

Da hier ein im Mittelalter beliebter Jodokus-Wallfahrtsort bestand, liegt es nahe, diese drei Zeichen - die beiden Bremer und das hier gefundene - diesem Ort zuzuschreiben. Argumente hierfür sind die Schrift »IODOK« statt »IOSSE«, die andere Ikonographie und die eher kleinräumige Verbreitung, welche im völligen Gegensatz zu der oben vorgestellten steht.

Weitere Pilgerzeichen und Brakteaten mit dem Bild des Heiligen Jodocus sind bekannt, lassen sich aber keinem Wallfahrtsort eindeutig zuordnen. Der Vollständigkeit seien sie aufgeführt.

Ein rechteckiger Brakteat aus Zeeland (vor 1532) und das Bild eines ovalen Brakteaten aus dem Stundenbuch von Quarre (nach 1488) zeigt ein ähnliches Bild, wie das eben erwähnte, und läßt sich entweder einer späten Ausprägung des Wallfahrtsortes St.Josse zuweisen, oder überhaupt einem anderen Wallfahrtsort des Heiligen Jodokus. Das gleiche gilt für das in London (Billingsgate) gefundene Zeichen. Ein weiteres Pilgerzeichen, das sich im Salisbury Museum befindet und ins dritte Viertel des 14.Jh. datiert wird, hat »formgleiche« Parallelen. Vergleichbare Stücke sollen sich in der Sammlung der »Society of Antiquaries of London« befinden. Weitere wurden in London, am »Baynard's Castle« (spätes 14.Jh.) und bei Vintry an der Themse gefunden. Ein weiteres stammt aus der Themse bei Queenhithe (14.Jh.).

Das Fragment eines Wallfahrtsbrakteaten des frühen 16.Jh. vom Horsteberg in Münster stellt das Andenken an den Pilgerort Jostberg bei Brackwede dar.

Man kann zusammenfassen, daß das Konstanzer Zeichen zusammen mit den in Trier und in den Niederlanden gefundenen Zeichen eine frühe Variante der Pilgerzeichen von St.Josse-sur-Mer darstellt, die in der zweiten Hälfte des 14. und zu Anfang des 15.Jh. herges tellt wurden. Eine jüngere Variante wird durch das Zeichen von Bremen und die Glockenabgüße von Neustadt (1434), Niederburg (1477) und Prietzen repräsentiert. Zu Ende des 15.Jh. beginnt hier offenbar die Produkttion von Brakteaten. Die Wallfahrtsandenken, die in der Weser bei Bremen und in St.Joost gefunden wurden, stammen - wie schon Köster 1957 erkannt hat - von dem niederdeutschen Wallfahrtsort, und sind im 15./1.Hälfte 16.Jh. entstanden.

Als einziger weiterer St.-Jodocus-Wallfahrtsort mit Brakteaten ist der Jostberg bei Brackwede zu identifizieren (frühes 16.Jh.). Weitere Pilgerzeichen und Brakteaten sind bekannt, können aber keinem Wallfahrtsort zugewiesen werden.

 

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